Der Krieg in Europa verschärft den Personalmangel der Transportbranche massiv. Schätzungen zufolge müssen Zehntausende ukrainische Lkw-Fahrer ihr Land gegen Russland verteidigen. Dazu kommen die Sorgen wegen des teuren Diesels.
Wie schnell es gehen kann, dass Supermärkte nicht mehr ausreichend beliefert werden, war in Großbritannien zu sehen, direkt nach dem Brexit. Tausende Lkw fehlten auf einmal in der Logistikkette, weil es viele Fahrer ausfielen. Speditionsunternehmer Christopher Schuldes aus dem hessischen Seeheim-Jugenheim denkt derzeit oft an dieses Beispiel. Auch er sucht händeringend Fahrer für seine 30 Lkw. „Ein Truck steht derzeit auf dem Hof, weil der Fahrer sich krankgemeldet hat“, erzählt er. Ersatz? Gibt es nicht. „Wir sind schon froh, dass zwei ehemalige Angestellte freiwillig aus der Rente zurückgekommen sind, sonst würden noch zwei weitere Lkw nutzlos auf dem Hof stehen“, sagt er.
Immer mehr Lkw stehen still
Der Fahrermangel verschärft sich derzeit massiv durch den Krieg in der Ukraine. Mehr als 100.000 ukrainische Lkw-Fahrer könnten zum Kriegsdienst eingezogen werden, warnt der Bundesverband Güterverkehr, Logistik und Entsorgung (BGL). Diese Fahrer stellen einen hohen Anteil in polnischen und litauischen Speditionen. Und die wiederum haben auch in Deutschland einen Marktanteil von 20 Prozent, sagt BGL Vorstandssprecher Dirk Engelhardt.
So wirkt sich der Krieg in der Ukraine bis ins Rhein-Main-Gebiet aus. „Wir haben derzeit häufig Anfragen für Fahrten Richtung Osten, bis Polen“, sagt Spediteur Schuldes. „Das ist normalerweise gar nicht unser Aktionsgebiet.“ Weil aber immer mehr Lkw wegen Fahrermangel stillstehen, suchen die Kunden händeringend nach Transportunternehmen.
„Unternehmen akut von der Insolvenz bedroht“
Schuldes bewegt mit seinen 40 Tonnern so ziemlich alles, was die Industrie braucht: Maschinen, Industriegüter, Kunststoffgranulate. Noch größere Sorgen als der Fahrermangel bereitet dem 33-jährigen Unternehmer der hohe Dieselpreis. Um über einen Euro ist der in den vergangenen Wochen gestiegen. „Das, was wir jetzt erleben, ist in keiner Frachtvereinbarung einkalkuliert. Das können wir überhaupt nicht mehr abfedern“, sagt Schuldes.
So wie ihm geht es derzeit den meisten Speditionen. „Die Unternehmer rufen uns an und sagen, sie sind akut von der Insolvenz bedroht. Einige haben sogar schon ihre Transportleistungen eingestellt“, sagt BGL Vorstandssprecher Engelhardt. Der Verband fordert deshalb von der Bundesregierung einen sofortigen „Krisengipfel Mittelstand“ unter Leitung des Wirtschaftsministers. Die Transportunternehmen müssten spürbar entlastet werden. Dem BGL schwebt dabei die Einführung eines verbilligten „Gewerbediesels“ vor.
Doch auch den Unternehmen, die ihre Lkw-Flotte auf Erdgasbetrieb umgestellt hätten, müsse geholfen werden. Denn beim Gas ist der Preisanstieg noch drastischer ausgefallen. Deshalb fordert der BGL einen „CNG/LNG-Rettungsschirm“ für die betroffenen Unternehmen. Also einen Rettungsschirm für komprimiertes und flüssiges Erdgas, auf das viele Unternehmen aus Umweltgründen umgestiegen sind.
Wirtschaft auf funktionierende Lieferketten angewiesen
Spediteur Schuldes ist voll auf der Seite seines Verbandes. Jeder seiner 40-Tonner verbraucht etwa 30 Liter Diesel auf 100 Kilometer. „Bei einer Tankfüllung von bis zu 760 Litern treibt es einem an der Tankstelle schon die Tränen in die Augen“, sagt er. Ihm wäre wichtig, dass die Hilfe nicht über eine Mehrwertsteuersenkung kommt. „Das hilft den Privatfahrern. Es ist also gut für Pendler. Uns aber bringt das nix, weil die Mehrwertsteuer ein durchlaufender Posten ist“, sagt er. Schuldes wäre dafür, wenn die Energiesteuern wie die CO2-Abgabe vorübergehend gesenkt würden. Das würde seiner Meinung nach echte Entlastung bringen.
Ansonsten ist er derzeit vor allem mit einem beschäftigt: Preise nachverhandeln. Zum Glück hätten vieler seiner Kunden ein Einsehen. „Die fahren ja auch mit offenen Augen an der Tankstelle vorbei“, sagt er. Und vor allem: Die Industrie ist dringend auf eine funktionierende Lieferkette angewiesen. „Das ist fast so komplex wie eine Operation am offenen Herzen“, sagt Schuldes. Die Lkw-Anlieferungen sind häufig so getaktet, dass die Waren direkt von der Anlieferung ans Fließband gehen. Jeder Lieferausfall sorgt da für Stillstand. Noch kann Spediteur Schuldes alle Aufträge abarbeiten. Seit 1970 gibt es das Unternehmen. Er führt es in der dritten Generation. Doch die Luft wird dünn.